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Chronisch Kraftlos

Der angebackene Kuchen

Manchmal geht es mir so gut, dass ich Lust auf einen selbst gebackenen Kuchen habe. So auch an gestern. Es ist gegen 13:00 Uhr, seit Stunden sitzliege ich auf meinem Sofa um nur keine "falsche Bewegung*" zu machen und so jede Form von Schmerzen zu vermeiden.

 

Als die Lust auf Kuchen backen auch nach einer Stunde noch in meinem Geist umherwabert und die Schmerzen nicht mehr geworden sind, begebe ich mich in die Küche.

Aufgrund der Hirnverletzungen kann ich kaum noch ohne schriftlichen Vorgaben arbeiten. Also suche ich aus meinen drei Rezepten mein Lieblingsrezept für einen Marmorkuchen heraus.

 

 

Damit nichts verloren geht

Alle benötigten Zutaten und Arbeitsmittel stelle ich in chronologischer Reihenfolge auf den Tisch.

Damit beim Tun nichts durcheinander gerät, bekommt jedes Lebensmittel einen Klebezettel mit seiner Reihenfolge angebabbt.

 

Dann geht es los. Alles, was nicht bei drei vom Tisch ist, fliegt in die Rührschüssel. Die gute Butter, der böse Zucker, Mehl, Backpulver etc.. Nachdem die Masse gut durchgearbeitet ist, meine Wellensittiche ihre Beschwerde gegen die Geräuschkulisse in Form einer vierstimmigen Schimpforgie demonstriert hat, kommt die andere Hälfte des Backgutes in die zweite Rührschüssel und wird mit bestem Kakao vermengt.

 

Der Wille ist stark, die Erdanziehungskraft ist stärker

Ohne jede Vorahnung wird mir kurz übel. An Teig kann es nicht liegen. Durch wiederholte Prüfung wurde notariell hervorragender Geschmack festgestellt. Möglicherweise habe ich zuviel gekostet.

Kaum habe ich den Gedanken fertig gedacht merke ich, wie mein obsoleter Körper dringend nach einer Liegemöglichkeit verlangt. Bevor mein Körper die Möglichkeit hat sich selbständig auf dem Küchenboden zu transformieren, begebe ich mich zügig zum Sofa. Auf diesem verbringe ich den Rest des Tages ohne dass ich wieder zu soviel Kraft komme, den Teig in die Form zu geben und in den Ofen zu stellen.

 

 

Ein dreitägiges Festmahl

Gegen 18:00 Uhr hole ich mir die Teigschüssel mit dem dunklen Teig und verzehre diesen als Abendbrot. Aus Erfahrung weiss ich, dass es Tage brauchen wird, bis ich wieder genügend Kraft haben werde, um den Backvorgang beenden zu können. Und bevor das gute Zeugs verkommt, wird der Teig mich die nächsten drei Tage ernähren. Klingt nicht gesund, ist aber Lecker. Lediglich die Grenze der Übelkeit muss ich beachten. Es wäre ein Jammer, den köstlichen Teig wieder über die oberste Körperöffnung ans Tageslicht zu bringen.

 

 

Erläuterung: 

*falsche Bewegungen > aufgrund der Verletzungen sind dies scheinbar leichteste Bewegungen, an die ein gesunder Mensch keinen Gedanken verschwendet. Das Heben einer Tasse, das Bewegen des Kopfes oder des linken Beines. All das kann zu Schmerzschüben führen, die mich für Wochen ins Bett bringen und jedesmal kraft- und freudlos zurück lassen.

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