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Es geht wieder (einmal) mit dem Gehen


Knapp vier Wochen liegt der letzte Schmerzschub zurück. Kleinste Überforderungen reichen aus, Wochen geh- und größtenteils handlungsunfähig im Bett verbringen zu müssen. Dieses mal habe ich meine Halswirbelsäule beim Tragen des Wäschekorbes überanstrengt - wohlgemerkt des leeren Wäschekorbes.  hat mein Körper wieder mit einem Schmerzschub reagiert. Für knapp eine Woche war nur noch Liegen und warten auf Besserung möglich.

 

Seit heute kann ich nun, abgesehen von dem WalkAide (elektronischer Fussheber), befestigt am linken Bein, wieder ohne Hilfsmittel wie Stöcken oder Rolator gehen. Jedesmal wieder ist dieses Gefühl unglaublich und kaum in Worte zu fassen.

 

Diese Erfahrung habe ich in den vergangenen drei Jahren sieben bis zehn Mal pro Jahr gemacht. Auch wenn das Gehen dann wieder geht, ist jeder Schritt eine große Anstrengung. Denn anders als ein gesunder Mensch muss ich zunächst "mit dem Kopf gehen" um danach mit meinen Beinen gehen zu können. Bevor ich einen Schritt machen kann, muss mein Kopf ganz bewusst jeden einzelnen Schritt des linken Beines denken: Linkes Bein heben, nach vorn setzen. Linkes Bein heben, nach vorn setzen.

 

So kann ich an guten Tagen circa hundert Meter gehen. Anschliessend benötige ich zwei bis drei Stunden Erholung.

Zehn Meter gehen - anstrengend wie ein Marathon

Das mentale Gehen läuft in den schmerzfreundlichen Phasen beinah unbewusst ab. Während und nach den Schmerzphasen jedoch muss ich das in fast zehn Jahren neu gelernte Gehprogramm jedesmal wieder ganz bewusst abrufen.

 

Als gesunder Mensch ist Gehen eine Selbstverständlichkeit, über die sich wahrscheinlich kaum jemand Gedanken macht. Seitdem bei mir aufgrund der schweren Unfallverletzungen viele Jahre gar nichts mehr gegangen ist, weiss ich jeden einzelnen Schritt zu schätzen. Und sei er auch noch so anstrengend. Heute empfinde ich mich als reich beschenkt, wenn ich mich in meiner Wohnung halbwegs gut vorwärts bewegen kann, auf meinen Beinen von einem Raum in den anderen gehen kann und sogar auf den Balkon treten kann, den eine zwölf Zentimeter hohe Stufe von der Wohnung trennt. An den meisten Tagen eines Jahres unüberwindbar.

Möbelroller statt Rollstuhl

Es gab Zeiten, in denen ich mich in der Wohnung auf einem Möbelroller vorwärts "bewegt" habe. Meine Wohnung konnte ich über Jahre hinweg nicht verlassen. Und in der Wohnung konnte ich mich in Ermangelung von Hilfsmitteln wie einem Rollstuhl nur auf einem Möbelroller bewegen. Das war nicht nur eine sehr erniedrigende Erfahrung  vielmehr auch eine völlig neue Perspektive. Auf dieser "Höhe" habe ich völlig neue Dinge wahrgenommen, wie zum Beispiel riesige Wollmäuse, die gefühlt größer waren als meine Sitzposition.

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